Jahrbuch Sucht: Corona hinterlässt Spuren auf dem deutschen Glücksspielmarkt
Jahrbuch Sucht: Corona hinterlässt Spuren auf dem deutschen Glücksspielmarkt
Das aktuelle Jahrbuch Sucht 2022 ist erschienen und wie üblich sind darin aufschlussreiche Fakten und Daten zum Suchtverhalten in Deutschland zu finden. Auch der deutsche Glücksspielmarkt und die Verbreitung von Glücksspiel-Störungen hierzulande werden im Jahrbuch näher beleuchtet. Die meisten Daten beziehen sich auf das Jahr 2020, einige auch auf 2021 – bekanntlich Jahre, die bei uns (und überall auf der Welt) stark durch die Corona-Pandemie geprägt waren.
2020: Umsätze auf dem Glücksspielmarkt brechen ein...
Und tatsächlich: Auch die Nachfrage nach Glücksspielen wurde durch die Ausbreitung des Coronavirus und besonders den zeitweisen Schließungen von Spielstätten (Spielbanken, Spielhallen, Wettbüros) massiv beeinflusst, wie die im Jahrbuch zusammen gestellten Daten eindrucksvoll zeigen. Einige Sportveranstaltungen und Pferderennen fielen ebenfalls aus, mit zum Teil erheblichen Folgen für die Umsätze der Glücksspiel-Anbietenden. Insgesamt schrumpfte der Glückspiel-Markt im Jahr 2020 um 11,3 % gegenüber dem „Vor-Corona-Jahr“ 2019.
Ein besonders dickes Minus verzeichneten die Spielbanken. Ihr Umsatz nahm um 34,2 Prozent ab und sank von deutlich über 9,5 Milliarden in 2019 auf knapp 6,3 Milliarden Euro im ersten Corona-Jahr (2020). Bei Automatenspielen in Spielhallen und Gaststätten betrug der Rückgang etwa 25 Prozent. In diesem Segment wurden jedoch immer noch knapp 18 Milliarden Euro Umsatz erzielt – und das in einem Jahr, in dem die Spielhallen zum Teil wochen- oder monatelang (unterschiedlich je nach Bundesland) geschlossen hatten.
… aber auf die Perspektive kommt es an
Überhaupt: Der Umsatz-Rückgang auf dem Glücksspielmarkt ist zwar insgesamt beachtlich. Allerdings waren in den Jahren davor die Umsätze bei den meisten Glücksspielarten kontinuierlich angestiegen. So relativiert beispielsweise dieser Vergleich das vermeintlich „schlechte Geschäft“ der Glücksspielanbietenden im Krisen-Jahr 2020: Mit den erzielten über 38 Milliarden Jahresumsatz im Jahr 2020 übertrifft der Glücksspielmarkt immer noch das Jahresergebnis von 2012, das damals bei knapp 37 Milliarden Euro Umsatz lag.
Wir haben es also mit einem über lange Zeit stetig angewachsen Markt zu tun, der sich angesichts des „Mega-Einschnitts Corona“ erstaunlich stabil gezeigt hat – auch diese Perspektive auf den Glücksspielmarkt im Jahr 2020 lässt sich mithilfe der Daten einnehmen.
Bruttospielertrag für die einen, Spielverluste für die anderen
Die immer noch hohen Umsätze der Glücksspielindustrie sind bekanntlich nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen die Folgen für jene Menschen, die die Kontrolle über ihren Umgang mit Glücksspielen verloren haben. Entgrenztes Spielen um Geld kann eine Verlust-Spirale in Gang setzen, in deren Verlauf hohe Spielschulden entstehen und sich Familien entzweien können. Auch hierzu findet sich ausführliches Zahlenmaterial im Jahrbuch Sucht 2022. Für den Bevölkerungsanteil, der von einer Glücksspiel-Störung betroffen ist, greift der Autor Gerhard Meyer von der Universität Bremen auf die Zahlen des jüngst erschienenen Glücksspiel-Survey zurück (wir haben darüber in einer News berichtet).
Durch die methodische Umstellung der repräsentativen Befragung (unter anderem Verwendung eines anderen Mess-Instruments zur Erhebung von Glücksspiel-Störungen) können zwar an vielen Stellen keine Vergleiche zu früheren Untersuchungen gezogen werden. Aber die erhobenen Zahlen sind auch für sich genommen interessant: Demnach haben 2,3 Prozent der Erwachsenen in Deutschland (zwischen 18 und 70 Jahren) eine Glücksspiel-Störung entwickelt – im Schnitt also jede 50. erwachsene Person. Viele Menschen mit Glücksspielproblemen sind hoch verschuldet. So hat nur eine Minderheit (27,3 Prozent) der ambulant behandelten Menschen mit der Hauptdiagnose „Pathologisches Spielverhalten“ gar keine Schulden, ein knappes Zehntel von ihnen dagegen ein Minus von über 50.000 Euro.
Corona-Pandemie, neue Sportwett-Lizenzen, der vor knapp einem Jahr in Kraft getretene Glücksspielstaatsvertrag: Das Geschehen auf dem deutschen Glücksspielmarkt ist – und bleibt vermutlich auch in den kommenden Jahren – dynamisch. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Glücksspiele kein Produkt wie jedes andere sind und die Branche vor allem von jenen Menschen lebt, die ein pathologisches Glücksspielverhalten entwickelt haben. Was Glücksspielunternehmen „Bruttospielertrag“ nennen, sind für Spieler*innen oftmals hohe Verluste.Je eher der Ausstieg aus dem Spielen gelingt, desto besser. Gleichzeit gilt: Es ist nie zu spät, um spielfrei zu werden. Hier geht es zu Hilfsangeboten in Hamburg.
Quelle: Meyer, G. (2022): Glücksspiel – Zahlen und Fakten. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): DHS Jahrbuch Sucht 2022. Lengerich: Pabst Science Publishers. 87-106.