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So geht es Kindern aus glücksspielsuchtbelasteten Familien

So geht es Kindern aus glücksspielsuchtbelasteten Familien

Ein Gespräch mit Dr. Anke Höhne

Vom 12. bis zum 18. Februar 2023 fand bundesweit die COA-Aktionswoche statt. Ihr Motto: Vergessenen Kindern eine Stimme geben. Mit zahlreichen Aktionen wurden Kinder aus suchtbelasteten Familien in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Ein Teil dieser Kinder lebt in Familien, in denen (mindestens) ein Elternteil einen problematischen Umgang mit Glücksspielen hat. Wir haben dazu ein Gespräch mit unserer Kollegin Anke Höhne geführt, die bei SUCHT.HAMBURG das Thema „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ betreut.

Weiß man eigentlich, wie viele Kinder in Deutschland in einer Familie leben, in der (mindestens) ein Elternteil Glücksspielprobleme oder sogar schon ein pathologisches Spielverhalten entwickelt hat?

Leider ist die Forschungslage zu Kindern aus glücksspielsuchtbelasteten Familien in Deutschland immer noch schlecht. Das betrifft auch die konkreten Zahlen, wie viele Kinder überhaupt betroffen sind. Die Zahlen schwanken hier zwischen 150.000 und 700.000 Kindern in Deutschland, die in einer Familie aufwachsen, in der (mindestens) ein Elternteil einen problematischen Umgang mit Glücksspielen hat.

Die Familie ist natürlich am stärksten von den Glücksspielproblemen betroffen. Aber auch das weitere soziale Umfeld, etwa der Freund*innenkreis oder der*die Arbeitgeber*in spüren die Auswirkungen des Spielens – zum Beispiel, wenn die spielende Person sich immer wieder Geld ausleihen möchte oder Freundschaften vernachlässigt werden. Schätzungen zufolge betrifft problematisches Glücksspielens bis zu 15 Menschen im Umfeld der spielenden Person.

Etwa ein Viertel bis ein Drittel der patholog. Glücksspieler*innen sind Eltern von minderjährigen Kindern. In Hamburg haben wir Zahlen aus der sogenannten BADO (Basisdokumentation der ambulanten Suchthilfe). Demnach leben in Hamburg mindestens 160 Kinder in Familien, in denen ein Elternteil wegen einer Glücksspielproblematik im Suchthilfesystem betreut wird. Allerdings werden in der BADO nur diejenigen Menschen erfasst, die im Hilfesystem betreut werden. Und das ist ja beileibe nur ein Bruchteil derjenigen mit einer Suchtproblematik.

Welchen Belastungen sind Kinder in glücksspielsuchtbelasteten Familien ausgesetzt?

Der betroffene Elternteil ist in der Regel derart mit seiner Sucht „beschäftigt“, dass die Bedürfnisse der Kinder zu kurz kommen. Oft entsteht ein starker Vertrauensverlust gegenüber den Eltern. Die Kinder erleben das Verhalten der Eltern häufig als nicht konsistent und verlässlich. Wenn Papa zum Beispiel gerade Geld gewonnen hat, ist er vielleicht sehr spendabel, verspricht viel, was er mit den Kindern unternehmen, ihnen kaufen will. Oft hält das nicht lange an, weil dann wieder eine „Pechsträhne“ folgt, kein Geld mehr da ist. Unter Umständen „bedient“ sich der glücksspielbelastete Elternteil auch am Ersparten der Kinder, was verständlicherweise ihr Vertrauen weiter erschüttert.

Wenn die Familie wegen des Spielens in Geldschwierigkeiten kommt, wird das in der Regel möglichst lange vor den Kindern verborgen. Die kriegen aber meist mit, dass die Eltern sich oft streiten und dass der glücksspielbelastete Elternteil oft abwesend ist. Abwesend im doppelten Sinne: abwesend, weil nicht zu Hause, sondern in der Spielhalle oder einer anderen Spielstätte. Und auch geistig abwesend, weil dieser Elternteil in Gedanken oft ebenfalls mit dem Spielen beschäftigt ist – selbst dann, wenn er bzw. sie zu Hause und damit physisch anwesend ist. Das erzeugt ein Gefühl von Alleinsein und Einsamkeit. Sehr eindrücklich wird dieses Gefühl eingefangen und beschrieben in dem kürzlich erschienenen Kinderbuch „Mein Papa, die Unglücksspiele und ich“, in dem aus Kindersicht die Glücksspielbelastung eines Elternteils in seinen Auswirkungen auf die Familie beschrieben wird (kostenloser Download des Buches: https://www.lsgbayern.de/kinderbuch).

Welchen Einfluss haben (Glücksspiel-) Suchtprobleme in der Familie auf die Entwicklung eines Kindes?

Natürlich kann man nicht alle Familien, in denen es ein Glücksspielproblem gibt, über einen Kamm scheren. Oftmals ist die Situation in diesen Familien jedoch insgesamt angespannter. Es kommt öfter zu Streitigkeiten und die Eltern verhalten sich in einer Weise, die für die Kinder schwer einschätzbar ist: Was heute gelobt wird, wird morgen kritisiert. Studien haben außerdem gezeigt: Die Beziehungsqualität zum glücksspielenden Elternteil ist im Vergleich zum nicht-spielenden Elternteil sehr viel schlechter.

Suchtbelastete Familien haben außerdem oftmals die Tendenz, sich sozial zurückzuziehen: Es werden seltener andere Freund*innen oder Verwandte nach Hause eingeladen. Man geht vielleicht auch nicht mehr so häufig unter Menschen. In glücksspielbelasteten Familien ist auch weniger Geld vorhanden für Unternehmungen. Die Kinder trauen sich manchmal nicht, Freund*innen mit nach Hause zu bringen, weil sie nicht wissen, wie Mama und Papa gerade drauf sind.

Kinder in suchtbelasteten Familien erleben auch häufiger als andere Kinder die Trennung ihrer Eltern. Öfter als in anderen Familien wird auch die Beziehung zu einem Elternteil abgebrochen. Ebenso ist das Risiko, dass sich das betroffene Elternteil – aus Scham, Verzweiflung und/oder hoher Verschuldung – das Leben nimmt, erhöht. Aufgrund der finanziellen Probleme in glücksspielbelasteten Familien erleben die Kinder auch mehr Stigmatisierung und Mobbing durch andere Kinder. Die Belastungen, denen die Kinder ausgelastet sind, können also enorm hoch sein. Sie haben dadurch ein höheres Risiko, später selbst eine Suchterkrankung oder eine andere psychische Erkrankung zu entwickeln.

Wo können sich betroffene Kinder und Jugendliche Hilfe holen?

Es gibt Online-Angebote für Kinder und Jugendliche, wie zum Beispiel www.gamblerkid.com und www.kidkit.de.

Auch NACOA (Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien e.V.) bietet Chatangebote für Kinder an und hat eine Übersicht über Hilfsangebote auf der Webseite. Weitere Informationen findet man hier.

Außerdem gibt es Gruppenangebote für Kinder aus suchtbelasteten Familien, wo sie andere Kinder in einer ähnlichen Lebenssituation kennenlernen können und erleben, dass sie nicht allein damit sind.

Eine Übersicht von Eltern- und Kindergruppen in Hamburg findet man hier. Betroffene Kinder und Jugendliche können sich auch an eine*n vertrauenswürdige*n Erwachsene*n in ihrer Familie, eine Erziehungs- und Familienberatungsstelle oder an eine*n Vertrauenslehrer*in wenden.

An wen können sich Angehörige von Menschen mit Glücksspielproblemen wenden?

Am besten an eine Suchtberatungsstelle, die sich auch auf Glücksspiel spezialisiert hat. Einen Überblick von Hilfsangeboten findet man auf der Website Automatisch Verloren. Dort gibt es auch allgemeine Hinweise und Tipps für Angehörige.

Welche Bilanz ziehen Sie nach der COA-Aktionswoche?

Ich finde diese Aktionswoche sehr wichtig, um das Thema immer wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, aber auch der Fachkräfte, die in und mit Familien und Kindern arbeiten, zu holen. Bundesweit wurde eine große Bandbreite an Veranstaltungen initiiert.

Wir haben uns mit zwei Online-Veranstaltungen an der Aktionswoche beteiligt, die sich an Fachkräfte gewandt haben. Selbst habe ich an einigen Veranstaltungen online und in Präsenz teilgenommen und schätze den Austausch mit Fachkräften aus sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern sehr. Einmal mehr wurde mir deutlich, wie schambehaftet das Thema elterliche Suchterkrankung noch immer ist und wie schwer es ist, die Kinder frühzeitiger zu erreichen und zu unterstützen. Das Stigma von Suchterkrankungen abzubauen, bleibt eine große Herausforderung.

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