Neuer Glücksspielstaatsvertrag
Im Dezember des gerade abgelaufenen Jahres 2011 haben 15 Bundesländer einen neuen Glücksspielstaatsvertrag unterschrieben. In den Monaten davor hatte sich bereits abgezeichnet, dass Schleswig-Holstein in Sachen Glücksspiel einen eigenen Weg gehen würde. Und so war das nördliche Bundesland dann auch tatsächlich nicht mit von der Partie, als sich die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen der übrigen Länder auf die neue Vertragsfassung einigten. Diese sieht vor, maximal 20 Lizenzen an private Sportwettenanbieter zu vergeben. Kasinospiele im Internet bleiben weiterhin verboten. Notwendig war die Neufassung des Staatsvertrages durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) geworden, das eine Änderung der vertraglichen Bestimmungen angemahnt hatte. Ein Monopol des Staates bei Glücksspielen sei nur dann gerechtfertigt, wenn dadurch gleichzeitig eine optimale Vorbeugung von Glücksspielsucht gewährleistet sei. Das gelte für jede Glücksspielart, andernfalls müssten auch private Anbieter beteiligt werden. Nun muss noch die EU-Kommission zustimmen, bevor der Vertrag dann in den Landesparlamenten ratifiziert wird. In Schleswig-Holstein ist zum 1. Januar bereits ein eigenes Gesetz in Kraft getreten, welches Sportwetten und Kasinospiele unbegrenzt erlaubt.
Doch welches Gefährdungspotenzial geht eigentlich von Sportwetten aus, etwa im Vergleich zu anderen Glücksspielen? In einer im letzten Jahr durchgeführten Studie konnte nachgewiesen werden, dass mit der Teilnahme an Sportwetten ein deutlich höheres Risiko für die Entwicklung einer Glücksspielsucht verbunden ist als bei anderen Spielen. Zu dem erhöhten Risiko tragen eine ganze Reihe von Faktoren bei. So überschätzen beispielsweise viele Spieler und Spielerinnen ihre Fähigkeiten, das Ergebnis von Sportereignissen vorherzusagen. In der Folge setzen sie oft hohe Wettsummen ein, die sie – in den allermeisten Fällen – wieder verlieren.
Wenn der Ausgang eines Sportereignisses „knapp“ falsch getippt wurde, hat man zwar genauso verloren, als wenn man mit seinem Tipp ganz klar daneben gelegen hätte. Von vielen Spielenden wird ein solches Ergebnis jedoch oft so wahrgenommen, als hätten sie „beinahe gewonnen“. Ihre Hoffnung, in der nächsten Runde „wirklich“ zu gewinnen, kann dadurch angefacht werden. Experten zählen deshalb solche „Fast-Gewinne“ zu den Faktoren, die ein Glücksspiel riskanter machen.
Ein nochmals erhöhter Gefährdungsgrad konnte für die Teilnahme an sogenannten Live-Wetten festgestellt werden. Bei dieser Wettart wird während eines Spiels (also „live“) auf ein Ereignis gewettet, zum Beispiel wie viele Tore noch fallen oder welche Mannschaft den nächsten Treffer erzielt. Das Tempo eines solchen Glücksspiels nimmt dadurch natürlich erheblich zu, so dass die Spielenden unter zeitlichen Druck geraten. Eine überlegte Entscheidung, ob und mit welchem Einsatz man sich an der Wette beteiligt, ist unter diesen Umständen natürlich noch schwieriger als bei anderen Glücksspielen. Eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) konnte ermitteln, dass Personen, die sich an Live-Wetten beteiligen, ein fünffach erhöhtes Risiko für ein problematisches bzw. abhängiges Spielverhalten aufweisen. Laut dieser Studie haben sich ungefähr ein Prozent der Deutschen in den letzten 12 Monaten vor der Befragung an Live-Wetten beteiligt. Zu den Glücksspielarten mit deutlich erhöhtem Gefährdungspotential zählen im Übrigen auch die Automatenspiele – jenes Glücksspiel, das mit 225 Millionen Euro auch die höchsten sozialen Folgekosten nach sich zieht.
Glücksspiele sind also unterschiedlich riskant, wie Studien immer wieder zeigen. Grundsätzlich kann sich jedoch jedes Glücksspiel zu einer Sucht entwickeln. Dass eine solche Sucht durchaus mit einer Abhängigkeit zu vergleichen ist, die durch den Konsum einer Substanz wie Tabak oder Alkohol ausgelöst wird, konnte eine Untersuchung der Charité und anderen Institutionen zeigen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gingen der Frage nach, welche Veränderungen exzessives Glücksspielen im Gehirn bewirkt und inwiefern diese Veränderungen vergleichbar sind mit typischen Befunden bei einer Substanzabhängigkeit. Und obwohl die Ergebnisse ihrer Untersuchungen nicht immer eindeutig ausfielen, fanden die Forscherinnen und Forscher insgesamt doch einige Gemeinsamkeiten zwischen einer Abhängigkeit von einem Stoff und einer Glücksspielsucht. So zeigten sich auch bei süchtigen Glücksspielern Veränderungen in jenen Hirnregionen, die für die Kontrolle von Impulsen zuständig sind. Ebenso reagieren Glücksspielsüchtige den Ergebnissen zufolge leichter auf bestimmte äußere Reize, die das Verlangen nach einem erneuten Spielen auslösen können – eine weitere Parallele zu einer Abhängigkeit von einer Substanz.
In Hamburg steht allen Spielerinnen und Spielern sowie ihren Angehörigen ein breites Beratungs- und Behandlungsangebot (http://www.automatisch-verloren.de/index.php/de/hilfe-hamburg) zur Verfügung. Eine gute Möglichkeit für eine erste Kontaktaufnahme mit diesem Hilfe- und Unterstützungssystem ist ein Anruf bei der Helpline Glücksspielsucht unter 040 23934444. Ein Blick in die Statistik der Helpline (2011) zeigt, dass ungefähr die Hälfte der Anruferinnen und Anrufer selber von einem problematischen Spielverhalten bzw. einer Glücksspielsucht betroffen ist, ein weiteres knappes Drittel gibt sich als Angehörige (r) zu erkennen. Die meisten Anrufer – über die Hälfte von ihnen sind übrigens Männer – sind über das Internet auf das Angebot der Helpline gestoßen. Das Glücksspiel, das am häufigsten in den Gesprächen thematisiert wird, ist das Automatenspiel – kein überraschendes Ergebnis, denn auch der Großteil der Menschen, die sich Unterstützung in Beratungsstellen holen, hat Erfahrungen mit diesem Glücksspiel gemacht. In vielen Fällen wird in den Gesprächen keine spezielle Form des Glücksspiels erwähnt, sondern ganz allgemein über problematisches Spielverhalten gesprochen.
Die Helpline Glücksspielsucht wird im Auftrag der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. vom Lukas-Suchthilfezentrum Hamburg-West betrieben und ist von montags bis donnerstags in der Zeit von 10.00 - 19.00 Uhr und freitags zwischen 10-15 Uhr erreichbar (zum Ortstarif aus dem deutschen Festnetz).
Quellen:
Rheinische Post Online „Länder erlauben Sportwetten“ (Zugriff am 23. Januar 2012);
Glücksspiel im Gehirn: Neurobiologische Grundlagen pathologischen Glücksspielens Volume 57, Number 4 / 2011. Mörsen CP, Heinz A., Bühler M., Mann K.; Pressemeldung der BZgA unter http://www.bzga.de/presse/pressemitteilungen/?nummer=702;
Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung (Endbericht 2011)